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1530 - Sendbrief vom Dolmetschen

"Dem Volk auf Maul schauen ..."

Foto: Alexander Schick mit freundlicher Genehmigung des Bibelmuseums der Universität Münster

 

 

Auf der Veste Coburg verfasste Martin Luther 1530 seinen berühmten Sendbrief vom Dolmetschen.

 

Er legt eindrucksvoll die Prinzipien seiner Bibelübersetzung dar und verteidigt seine Übersetzung.

 

Berühmt ist die folgende Passage aus dem Sendbrief:


»man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet.«

 

 

Im Gegensatz zu den vorlutherischen Bibeln und den katholische Gegenbibeln übersetzte Luther manchmal sinngemäß. Dies kommentiert Luther wie folgt:

 

»Als wenn Christus spricht / Ex abundantia cordis os loquitur [Matth. 12,34; Luk. 6,45]. Wenn ich den Eseln sol folgen / die werden mir die buchstaben furlegen / vnd also dolmetzschen / Auß dem vberflus des hertzen redet der mund. Sage mir / ist das deutsch geredt? Welcher deutscher verstehet solchs? Was ist vberflus des hertzen fur ein ding? Das kan kein deutscher sagen / Er wolt denn sagen / es sey das einer allzu ein gros hertz habe / oder zu vil hertzes habe / wie wol das auch noch nicht reicht ist / denn vberflus des hertzen ist kein deutsch / so wenig / als das deutsch ist / Vberflus des hauses / vberflus des kacheloffens / vberflus der banck / sondern also redet die muotter ym haus und der gemeine man / Wes das hertz vol ist / des gehet der mund vber / das heist gut deutsch geredet / des ich mich geflissen / und leider nicht allwege erreicht noch troffen habe / Denn die lateinischen buchstaben hindern auss der massen seer gut deutsch zu reden«

 

(In heutiger Sprache:

So wenn Christus spricht: Ex abundantia cordis os loquitur. Wenn ich den Eseln folgen soll, werden sie mir die Buchstaben vorlegen und folgendermaßen übersetzen: »Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund.« Sage mir, wird denn Deutsch so gesprochen? Welcher Deutsche versteht so etwas? Was ist Überfluss des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen. Wenn, dann würde er sagen, einer habe ein allzu großes Herz oder zu viel Herz, obwohl das auch noch nicht richtig ist, denn Überfluss des Herzens ist kein Deutsch, so wenig wie dieses hier Deutsch ist: Überfluss des Hauses, Überfluss des Kachelofens, Überfluss der Bank, sondern folgendermaßen sagen die Mutter zu Hause und der einfache Mann: Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Das ist gutes gesprochenes Deutsch, worum ich mich bemüht und es leider nicht überall erreicht und getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über die Maßen gutes Deutsch zu reden)

 

 

Luther kritisiert in diesem Sendbrief in aller Schärfe seinen Gegner Hieronymus Emser und dessen Ausgabe des Neuen Testaments von 1527. Emser hatte mehr oder minder Luthers Übersetzung Wort für Wort abgeschrieben und nur an einigen Stellen nach der Vulgata abgeändert.

 

Hier ein Textvergleich von der oben zitierten Stelle Lukasevangelium Kapitel 6, Vers 45:

 

Vulgata (4. Jh. / lateinische Bibelübersetzung):

Bonus homo de bono thesauro cordis sui profert bonum et malus homo de malo profert malum ex abundantiaenim cordis os loquitur.

 
Mentelin (1466):

Der guot mensch von den guoten schatz seins hertzen fuorbringt er das guot: und der boeß mensch von den boesen schatz seins hertzen fuorbringt er daß boeß. Wann von der begnuogsam des hertzen redt der mund.
 

Zainer (1475):

Der guot mensch von dem guoten schatz seins hertzen fuorbringt er dz guot und der boeß mensch von den boeßen schatz seins hertzen fuorbringt er das boeß. Wann von der uberflußigkeit des hertzens redt der mund.

 

Luther (1522):

Eyn gutter mensch bringt gutts erfur, aus dem guttem schatz seynes hertzen und eyn boßhafftiger mensch bringt boses erfur, aus dem boßen schatz seynes hertzen, denn wes das hertz voll ist, des geht der mund uber.

 

Emser (1527):

Eyn gutter mensch bringt guts erfuor, aus dem guten schatz seynes hertzen, und eyn boeßhafftiger mensch bringt boeses herfur, aus dem boesen schatz seynes hertzen, denn aus uberfluss des hertzen redet der munde.

 

Aber Luther hatte auch Recht, dass durch die Ausgabe von Hieronymus Emser seine Übersetzung auch unter der Altgläubigen (Katholiken) verbreitet werden würde:

»Ich bin froh, dass meine Arbeit (wie auch Paulus rühmt) auch durch meine Feinde gefördert und des Luthers Buch ohne Luthers Namen unter seiner Feinde Namen gelesen werden muss: Wie könnte ich mich besser rächen?«

 

 

Die Bibelausstellung Sylt zeigt ein Faksimiles dieser wichtigen Schrift Luthers.

 

 

Wem hat Luther „aufs Maul geschaut“? – Luthers Einfluss auf die Sprache Interview mit dem Sprachforscher Hartmut Günther

 

Zur Problematik der Sprachenvielfalt und Dialekte der damaligen Zeit --> HIER <--

 

 

Aus dem Sendbrief vom Dolmetschen:

 

Ich habe mich des geflissen im Dolmetschen, dass ich rein und klar Deutsch geben möchte. Und ist uns oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben´s dennoch zuweilen nicht gefunden. Im Hiob arbeiteten wir also, M. Philipps, Aurogallus und ich, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigen konnten. Lieber, nun es verdeutscht und bereit ist, kann´s ein jeder lesen und meistern; läuft einer jetzt mit den Augen durch drei oder vier Blätter und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, da er jetzt über hin gehet, wie über ein gehobeltes Brett, da wir haben schwitzen müssen und uns ängstigen, ehe denn wir solche Wacken und Klötze aus dem Wege räumten, auf dass man könnte so ein daher gehen. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist; aber den Wald und die Stöcke ausrotten und den Acker zurichten, da will niemand an. ... Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet ... Doch habe ich wiederum nicht allzu frei die Buchstaben lassen fahren, sondern mit großen Sorgen samt meinen Gehilfen drauf gesehen, dass, wo etwa an einem Worte gelegen ist, habe ich´s nach den Buchstaben behalten und bin nicht so frei davongegangen ... ich habe eher wollen der deutschen Sprache abbrechen, denn von dem Wort weichen. Ach, es ist ja Dolmetschen nicht eines Jeglichen Kunst, wie die tollen Heiligen meinen; es gehöret dazu ein recht frommes, treues, fleißiges, furchtsames, christliches, gelehrtes, erfahrenes, geübtes Herz ...”

 

(in: Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, 30, 2, 636, 15 ff.)